Die Rote aus dem Oderbruch und die brandenburgisch-preußische Kartoffeltradition

Veröffentlicht:

2022

Autorinnen:

Kerstin Geßner

Annett Dittrich

Kartoffelbefehle

Ebenso legendär wie die Beziehung des preußischen Königs Friedrich II. (1712–1786) zum Oderbruch ist seine Verbindung zu einer unscheinbaren Knolle, die heute aus dem Speiseplan der Deutschen nicht mehr wegzudenken ist – die Kartoffel. Grund hierfür sind die friderizianischen Kartoffelbefehle, eine Reihe von An- und Verordnungen an Beamte der preußischen Provinzen zur Durchsetzung der aus Amerika stammenden Kartoffel oder Tartoffel, wie das „sehr nützliche und sowohl für Menschen als Vieh auf sehr vielfache Weise dienliche Erd-Gewächs“ im Jahr 1756 genannt wurde (Anm. 1). Mit dem Anbau der ertragreichen Erdfrucht aus Amerika versprach man sich in Preußen eine Linderung der Hungersnöte, die im 18. Jahrhundert ganze Landstriche verheerten. Doch die einheimischen Untertanen zeigten sich anfangs alles andere als begeistert von dem amerikanischen Fremdling (Anm. 2). Und auch auf den Küchenzetteln von Sanssouci, die detailliert über die täglichen, mehrgängigen Speisefolgen der königlichen Tafel Auskunft geben, findet sich die Kartoffel kein einziges Mal (Anm. 3).


Porträt der Kurfürstin Katharina von Brandenburg (1549–1602), die auf ein früchtetragendes Solanum-Gewächs verweist, vermutlich eine Kartoffelpflanze (SPSG, Foto: Daniel Lindner)

Die Tartouffli kommen nach Brandenburg

Zudem gebührt nicht Friedrich II. die Ehre, die Kartoffel in die Mark Brandenburg eingeführt zu haben, sondern seiner Urgroßmutter, der aus den Niederlanden stammenden Luise Henriette von Nassau-Oranien (1627–1667), Ehefrau des Großen Kurfürsten. So will es zumindest die Legende, dass die ersten märkischen Kartoffeln in ihrem Garten vor dem Spandauischen Tor, Standort des späteren Schlösschens Monbijou, wuchsen (Anm. 4). Der Anbau war Teil einer brandenburgischen Offensive, die nach dem Dreißigjährigen Krieg für einen Aufschwung sorgen sollte: 1649 erteilte der Große Kurfürst seinem Hofgärtner Michael Hanff schriftlich den Befehl, 80 Gulden an einen holländischen Gardinier für „etlich bulbliche Gewächse“, nämlich für Zwiebelknollen, darunter vielleicht auch schon Kartoffeln, zu zahlen (Anm. 5). Von seinen Einkaufstouren nach Holland brachte Hanff außer »allerhand außländische frömbde Bäume und raritäten von gewechße« (Anm. 6) für den eben fertig gestellten Berliner Lustgarten nacheinander zwei Sorten an Kartoffeln mit: zuerst eine purpurblütige Art mit roten Knollen und später eine weißblütige Art mit gelben Knollen (Anm. 7).


Kartoffeln blieben zunächst eine botanische Kuriosität in Pflanzensammlungen, die allenfalls aus der Lust auf Abwechslung auf den Tellern landete (Anm. 8). Das lag auch daran, dass die ersten nach Europa eingeführten Kartoffeln Kurztagspflanzen waren, die erst spät im Jahr Knollen ansetzen und daher in Nord- und Mitteleuropa zunächst keinen nennenswerten Ertrag lieferten. Dies war allenfalls im Mittelmeerraum möglich. Auf das haltbare, stärkehaltige Nahrungsmittel, welches die Indios Papas nannten, waren 1537 zuerst die vorrückenden Spanier in den Hochländern von Peru, Kolumbien und Ecuador aufmerksam geworden (Anm. 9). Bereits 1570 wurden Kartoffeln in Südspanien auf Feldern angebaut. Der Schweizer Botaniker Caspar Bauhin gab den Tartouffli dann 1596 den bis heute gültigen lateinischen Namen Solanum tuberosum [esculentum] (essbare knollenbildende Nachschattengewächse), um sie von ähnlichen Pflanzen mit apfelförmigen Früchten (S.pomiferum, z.B. Aubergine, Tomate) zu unterscheiden. Schon Bauhin kannte zwei Arten der rundlichen Kartoffeln, nämlich „fusci vel atrorubentis coloris“ (von brauner und von dunkelroter Farbe, Anm. 10). 


Die älteste bekannte europäische Darstellung der Kartoffel zeigt eine purpurblütige Pflanze mit rotbraunen Knollen. Der flämische Botaniker Carolus Clusius erhielt das Aquarell 1588/89 als Geschenk zusammen mit den dargestellten Pflanzenteilen und pflanzte die Knollen in seinen Garten (Plantin-Moretus Museum Antwerpen, wikimedia)

Kartoffeln auf Gusow

Die adligen Besitzer repräsentativer Landgüter und Verwalter der kurfürstlichen Ämter folgten dem Beispiel des Kurfürsten umgehend in ihren eigenen Lustgärten nach. „Ausländische Gewächse, Exotica“, so schrieb der preußische Chronist Bekmann aus Frankfurt an der Oder, „sein zwar keine Früchte des Märkischen Erdbodens; jedoch gereichet es dem Lande und den Besitzern zum ruhm, wann auch diese durch kunst und geschicklichkeit gezogen und erhalten werden“ (Anm. 11). Im Oderbruch verfügte Generalfeldmarschall Georg von Derfflinger (1606–1695), der sich ab 1646 der Bewirtschaftung seines Gutes Gusow (Anm. 12) widmete, über einen solch anspruchsvollen Garten (Anm. 13). Er brachte es „in Einführung neuer Frucht- und Gewächsarten [...] nach dem Kurfürsten am weitesten“ und „machte hier, nach dem Muster des Kurfürsten, gleichfalls Versuche mit ausländischen Weinstöcken und amerikanischen Pflanzen“ (Anm. 14).

„Grundriss des Hochgräflichen von Podewilsschen Gartens zu Gusow“, B. Glasbach, ca. 1782

Knapp 40 Jahre später schreibt der Berliner Hofbotanicus Elsholtz über die Tartuffeln, dass „sie nunmehr zimlich gemein bey uns [ge]worden sind“. Zur Zubereitung sieht er in seinem Ernährungsbuch „Diaeticon“ vor, dass man die Kartoffeln „erstlich in wasser mürbe siedet, und wan sie erkaltet, so ziehet ihnen die auswendige Haut ab: alsdan gießet Wein drüber, und lasset sie mit Butter, Salz, Muscatenblumen und dergleichen Gewürtz von newen kochen: so sind sie bereit“. Neben dieser Form des Kartoffelpürees empfahl er schlicht Bratkartoffeln.


Detail des Gusower Gartenplans von 1782, im Küchengarten (10) östlich des Schlosses (A) könnten Kartoffeln ihren Platz gefunden haben, zu erkennen sind im Süden des östlichen Obstquartiers (9) auch zwei kleine zum experimentellen Anbau geeignete Ackerflächen

Das Gusower Schloss in Alexander Dunckers "Ländliche Wohnsitze, Schlösser und Residenzen", 1860

Knollenprediger und Schweinefutter

Fortan wurde in den adligen Küchengärten offenbar mit den Knollen experimentiert: neue Sorten ließen sich dabei relativ einfach durch Einkreuzungen und die anschließende Aussaat der Samen erzielen. Die zusätzliche Einfuhr chilenischer Kartoffelsorten förderte einen früheren Knollenansatz im Jahresverlauf. Rege wurden zudem Neuheiten zwischen Frankreich, England und Holland getauscht. Schließlich gelangte die Kartoffel landesweit in die vorbildhaft wirtschaftenden Amtshaus- und Pfarrgärten. Im Sinne der Aufklärung setzten die sogenannten Hausväter – mitunter spöttisch Knollenprediger genannt – im 18. Jahrhundert alles daran, den Anbau exotischer Gemüse in Handbüchern einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wie schon Beamte des Königs gaben auch sie Saatkartoffeln kostenfrei an Bauern ab.


Bekmann schrieb im Jahr 1751 zurückblickend: „Seit etlichen zwanzig Jahren werden auch die Tartüffeln in der Mark gezogen, und ist damit in der Altmark der Anfang gemacht worden, von wannen sie ferner in die Prignitz, Mittelmark und Neumark gekommen“ (Anm. 15). Aus der vielseitigen Erdfrucht ließ sich nicht nur Brot und Kuchen backen: Pellkartoffeln mit Salz, Bratkartoffeln, Kartoffelsalat und Püree sollten bald zu den Brandenburger Leibspeisen gehören – zumindest der ärmeren Bevölkerung. In Notzeiten sättigte die Funzelsuppe, eine Gemüsebrühe oder einfach nur heißes Wasser, in das geriebene Kartoffeln eingerührt wurden.


Da man der stärkereichen Knolle die Bewältigung von Hungersnöten zutraute, wurde nun erstmals auch der feldmäßige Anbau erwogen. Mitte des 18. Jahrhunderts erreichte die Kartoffel den Rand des Oderbruchs, das zur gleichen Zeit das primäre Ziel der friderizianischen Binnenkolonisation darstellte (Anm. 16). Der hohe Ertrag – bei einem Anbauversuch in Wriezen konnte man 1750 die Menge an Saatkartoffeln fast verachtfachen (Anm. 17) – führte dazu, dass die Kartoffel gemeinsam mit dem Tabak den seit dem Mittelalter an den sonnigen Hängen der Wriezener Terrassen gepflegten Weinanbau verdrängte. Hier beanspruchte die amerikanische Knolle also zunächst noch die besten Lagen. Als die Oder 1753 erstmals durch das neu ausgehobene Bett floss, bildete dies den Auftakt zur Urbarmachung des lehmreichen Bruchs und zur Gründung neuer Kolonistendörfer, aber auch zu einer Neuordnung der Fluren und der Anbaufolge. 


An den Wriezener Hanglagen wurde im Mittelalter bereits Wein angebaut, diese Böden galten anfangs auch als beste Lagen für Kartoffeln, im Hintergrund Blick ins Oderbruch (Postkartenmotiv, 1916)

Christian Friedrich Germershausen, Pfarrer bei Treuenbrietzen, stellte 1785 fest, dass inzwischen „jeder Bauer und Taglöhner [die Kartoffel] nachgerade gut zu bauen“ verstand (Anm. 18). Nun kam es darauf an, auch einzelne Sorten mit unterschiedlichen Eigenschaften zu auseinander zu halten. Nach dem Erntezeitpunkt teilte er in Früh- und in Spätkartoffeln, jeweils von hellbrauner, gelblicher und roter Färbung. Als wohlschmeckende Frühsorte kannte Germershausen etwa die langen, dünnen roten Ochsenhörner. Bei der Rockskartoffel oder Geißberger genannten Kartoffel handelte es sich dagegen um eine ursprünglich aus dem Elsass stammende rote Spät- und Lagerkartoffel.


Einige der zu dieser Zeit gepflanzten Sorten blieben geschmacklich aber weit hinter den Vorstellungen zurück und wurden aufgrund ihres Stärkereichtums hauptsächlich als Viehfutter oder zum Brennen von Kartoffelschnaps empfohlen. Da die alten Varianten außerdem mehr toxisches Solanin enthielten, kam es hin und wieder zu Vergiftungserscheinungen, weswegen sich viele Bauern weigerten, das dem Schwarzen Nachtschatten (Solanum nigrum) recht ähnliche Nachtschattengewächs überhaupt anzubauen oder gar zu essen. Das Vorurteil des „Schweinefutters“ haftete noch immer zäh an den teils unbeliebten Erdfrüchten (Anm. 19). Zwar überzeugten Sorten wie Zucker- oder die Nusskartoffel durch delikaten Geschmack, wurden aber meist nicht größer als eine Kirsche (Anm. 20).


Der „Kartoffelpfarrer“ Carl Wilhelm Ernst Putsche brachte 1819 das erste agrarwissenschaftliche Werk über Kartoffeln heraus. Es enthielt farbige Illustrationen der damals beliebtesten Sorten.

Der Durchbruch der Knolle

Die Getreide-Missernte von 1770/71 sollte die Akzeptanz der Erdknollen enorm beschleunigen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren bereits 46 Kartoffelsorten bekannt (Anm. 21). Als der Astronom und Reiseschriftsteller Johann Bernoulli im Jahr 1778 Gusow besuchte, fand er dort nicht nur den Kohlanbau in voller Blüte, sondern auch „ein[en] Theil der Ländereyen mit Mohn, Erdäpfeln, gelben Rüben, Hanf und anderen Sämereyen“ bebaut (Anm. 22). Als schwierig gestaltete sich jedoch die Einfügung der Kartoffel in die Dreifelderwirtschaft mit der strengen Abfolge aus Sommergetreide, Wintergetreide und obligatorischer Brache (Anm. 23). Bereits Friedrich II. hatte darauf gedrungen, wenigstens jeden leeren, wüsten oder noch so unfruchtbaren Platz zum Kartoffelanbau zu nutzen. Auf dem Gusower Gut wurden die Brachflächen im Probebau gedüngt und gepflügt, die „Einwohner pflanzten darin was sie wollten [Kartoffeln, Kohl, Tabak etc.], hielten das Land von Unkraut rein, und bekamen alsdenn die Hälfte der Produkte (Anm. 24)“.


Erst mit dem späteren Wegfall der Brache konnten die Hackfrüchte ihren festen Platz auf dem Feld behaupten. Die experimentierfreudigen Güter im Oderbruch nahmen hierbei erneut eine Pionierrolle ein. Für 1786 ist ein regulärer Kartoffelanbau auf den Gütern von Quilitz, dem heutigen Neuhardenberg, sicher belegt (Anm. 25). 1790 erschien die Kartoffel in den Aussaat- und Erntetabellen des Gutes Alt-Friedland, das seit zwei Jahren von Helene Charlotte von Lestwitz (1754‒1803), auch Frau von Friedland genannt, geführt wurde (Anm. 26). Die landwirtschaftlich und ökonomisch versierte Gutsbesitzerin ließ im ersten Jahr 173 Scheffel Kartoffeln auslegen – offensichtlich mit Erfolg, denn in den folgenden Jahren erhöhte sie das Quantum bereits auf 350 Scheffel (Anm. 27).

Im Oderbruch entstanden nach der Trockenlegung 1753 erst nach und nach größere Äcker (helle Flächen), die Böden waren schwer und nass, "Carte des Oderbruchs", 1799 (GStPK)

1794/95 führte Friedrich Heinrich von Podewils (1746–1804) den Kartoffelfeldbau im großen Stil auf dem Gut in Gusow ein (Anm. 28). In den akribisch geführten Aufzeichnungen, die der ehemalige Landrat über die Erträge seines Mustergutes anfertigte, ist von dem „gemeinen rothen Winter-Erdapfel“ die Rede. Gemeint war damit eine rotschalige Spätkartoffel, die offensichtlich im Oderbruch schon weit verbreitet war. Im Gegensatz zu den „herb und geil schmeckenden Schweineäpfeln“, die als Viehfutter angebaut wurden, handelte es sich um eine Speisekartoffel. Allerdings wiesen „die im Bruche erbaueten rothen Erdäpfel keinen guten Geschmack“ auf, sodass für deren Feldbau weiterhin nur die Randlagen empfohlen wurden. Ein Rückschlag war zudem der kalte Winter 1798/99, in dem die Kartoffeln in den Mieten erfroren.

Kartoffelsorten aus dem Werk von Carl Wilhelm Ernst Putsche,1819

Podewils Ansatz lag trotzdem im Trend der Zeit, denn um 1800 war die Kartoffel in Preußen in aller Munde. Auch der Agrarwissenschaftler Albrecht Daniel Thaer (1752–1828), der ab 1804 ein Mustergut in Möglin am Rand des Oderbruchs anlegen ließ, beschäftigte sich intensiv mit der Kartoffel (Anm. 29). Thaers Bemühungen um den Kartoffelanbau und dessen Integration in die Fruchtfolge, den er im Wettstreit mit Podewils gar zu seinem eigenen „Kind“ (Anm. 30) erklärt hatte, trugen Früchte: In den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts gehörte die Kartoffel zu den meist angebauten Ackerfrüchten im Oderbruch. Als 1813 russische Kosaken in Altreetz eintrafen, verlangten sie als Verpflegung Fisch und Reibekartoffeln (Kartoffelbrei, Anm. 31). Zusätzlich befeuert wurde der Kartoffelboom durch den 1817 patentierten Brennapparat von Pistorius, mit dem die massenhafte Akoholproduktion Einzug hielt.

Die rote Oderbruchkartoffel

Noch in den 1820er und 1830er Jahren tauschten Frau von Friedlands Tochter Henriette Charlotte und ihr Mann Peter Alexander von Itzenplitz rege mit anderen Gütern Kartoffelsorten aus, darunter die rote Dauerkartoffel, Tannenzapfen, Späte Blaue, Zuckerkartoffeln und kleine Mandelkartoffeln (Anm. 32). Doch mit der ab 1844 grassierenden Kraut- und Knollenfäule (Phytophthora) und den dadurch verursachten Missernten verschwanden nach 1848 fast sämtliche  Kartoffelsorten vom Markt. Von überall auf der Welt führte man vollkommen neue Sorten, vorwiegend Frühkartoffeln, die ihre Knollen bereits vor der einsetzenden Blattwelke ausbildeten, nach Deutschland ein.


Es gibt allerdings mehrere Hinweise darauf, dass sich die rote Dauerkartoffel bzw. die rote märkische Kartoffel ganz im Osten Deutschlands gegen die Fäule behaupten konnte (Anm. 33). Das lag vermutlich auch daran, dass sie früher als andere Spätsorten reifte. Im Gegensatz zu gängigen Sorten kam die große, stärkereiche Rote mit kräftigen, fruchtbaren Böden zurecht und war somit für die schweren Lehmböden des Bruchs bestens geeignet. Zwar nimmt in größeren Knollen der Stärkegehalt bei lehmigen Böden ab, doch wurde dieser Nachteil durch die trockene Witterung des Oderbruchs wettgemacht, welche den Stärkegehalt wieder steigen ließ (Anm. 34).


Bald kannte man sie nur noch unter dem Namen Oderbruch-Kartoffel oder einfach nur Bruchkartoffel: Die „rothe[n] Oderbruch-Kartoffeln, vorzüglich für Spiritusbrennereien bei Boden, der gut im Stande ist, Ertrag durchschnittlich 6 Wispel pr. Morgen, halten sich im Winter vorzüglich, keimen im Frühjahre sehr spät, sollen die höchste Ausbeute an Spiritus geben, und zwar um so mehr, je größe die Knollen sind; dieselben sind lang, groß, von blaßrother Farbe, mit vielen tiefliegenden Keimungen“ (Anm. 35). Typisch für die Rote aus dem Oderbruch war auch, dass die kleinen Kartoffeln rund, die großen jedoch länglich ausfielen. Doch schon 1857 klagte der Königsberger Brennereiexperte August Hamilton in einem offenen Brief: „Es ist merkwürdig, daß man von diesen einst so renommirten Kartoffeln jetzt wenig oder gar nichts mehr hört und sie auch kaum mehr dem Namen nach zu kennen scheint“ (Anm. 36). Als Friedrich-Wilhelms-Kartoffel eroberte sie sich ab 1857 über Schlesien (Anm. 37) und als Dabersche Kartoffel über Pommern (Anm. 38) teilweise wieder die Äcker Norddeutschlands. Noch bis zum Ersten Weltkrieg führten Händler sie im Angebot.


Trotz aller Rückschläge – sei es die Krautfäule oder der im Jahr 1877 eingeschleppte Kartoffelkäfer – hatte die Kartoffel, die man nun keinesfalls mehr missen mochte, endgültig den Durchbruch in die Herzen der Brandenburger geschafft. Denn ungeachtet des Feldbaus behielt die Kartoffel im Oderbruch einen wichtigen Stellenwert im häuslichen Garten. Eingezäunt oder auf einem kleinen abgeteilten Stück Land baut man Kartoffeln zur Selbstversorgung an. Das hatte im Oderbruch schon Graf Podewils beobachtet: „In den hiesigen Gegenden bauet ein jeder nur so viel Erdäpfel, als er zum Essen und Viehfutter braucht“ (Anm. 39). Und noch heute tauscht man im Oderbruch gern rotschalige Kartoffelsorten aus.



Anmerkungen


1 „Circulare an sämtliche Landräte und Beamte wegen Anbauung der Tartoffeln vom 24. März 1756“; vgl. Humm/Heilmeyer 2012, 53ff.
2 Humm/Heilmeyer 2012, 34ff.
3 Humm/Heilmeyer 2012, 108f.
4 Hammer 2001, 113f.
5 Seidel 1890, 112
6 Seidel 1890, 101
7 Pflanzenverzeichnis des Johann Sigismund Elsholtz aus dem Jahr 1657 (Seidel 1890, 112).
8 Elsholtz 1682, 32
9 Rothacker 1992, 218ff.
10 Caspar Bauhin, Phytopinax seu enumeratio plantarum ab herbariis nostro seculo descriptarum, cum earum differentiis additis aliquot hactenus non sculptarum plantarum vivis iconibus, Basel 1596, 301. 
11 Bekmann 1751, Sp. 673
12 Wendland & Wendland 2015, Bd. III, 335-351.
13 Überliefert ist die Lage des ausgedehnten Küchengartens nordöstlich des Schlosses allerdings erst auf einem Plan von 1779 (Wendland & Wendland 2015, Bd. III, Gusow, Abb. 1). 
14 Nicolai 1786, 1036-1037.
15 Bekmann 1751, 675
16 Vgl. Schmook 2006, 19ff.
17 „1750 wurden in Wriezen nur 4 Scheffel 10 Metzen ausgelegt und davon 1 Wispel 11 Scheffel 4 Metzen gewonnen“ (Ulrich 1830, 48, Anm. 1).
18 Germershausen 1783/1786, Bd. 3, 585ff.
19 Vgl. Krausch 2004, 123
20 Putsche/Bertuch 1819, 21.
21 Putsche/Bertuch 1819, 12
22 Bernoulli 1779, 28
23 Krausch 2004, 125.
24 Germershausen 1783/1786, Bd. I, 86.
25 Humm 2012, 201
26 Ebenso im seit 1789 geführten „Verzeichniss der auf den Friedlaendschen Guetern cultivirten Gewaechse“ (Walter 1815, 52) 
27 BLHA, Rep. 37, Alt Friedland, Nr. 325; zit. nach Humm 2012, 201
28 Podewils 1801, 88ff.
29 Thaer 1810, 4ff.
30 Fontane 1863, 233
31 Vgl. Chronik unter: http://www.altreetz-online.de/index.php?id=61&tx_ttnews[backpid]=205&tx_ttnews[tt_news]=736
32 Oekonomische Neuigkeiten und Verhandlungen Nr. 64, 1832, 506‒507.
33 Breslauer Beobachter vom 16. Januar 1848; Schlipf, 1857, 87
34 Wolff 1856, 912.
35 Oekonomische Neuigkeiten und Verhandlungen Nr. 70, 1850, 909.
36 Hamilton (1857, 6f.) entdeckte die Oderbruchkartoffel als „Blassrothe Kartoffel“ in der Ostprignitz wieder. 
37 Verhandlungen des Vereines zur Beförderung des Gartenbaues in den Preussischen Staaten, Band 5, 1857, 11
38 Heute unter der Bezeichnung „Pommern rot“ beim IPK Gatersleben noch in der Sortenerhaltung.
39 Podewils 1801, 89



Annett Dittrich, Kerstin Geßner (2022)


Der Beitrag erschien in leicht gekürzter Fassung im "Landkreis Märkisch-Oderland Jahrbuch 2022", S. 39–44




Literatur


Bekmann, Johann Christoph: Historische Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg, Band 1, Berlin, 1751.


Bernoulli, Johann: Reisen durch Brandenburg, Pommern, Preussen, Curland, Russland und Pohlen in den Jahren 1777 und 1778. Band I, Leipzig 1779.


Elsholtz, Johann Sigismund: Diaeticon - Das ist Newes Tisch-Buch oder Unterricht von Erhaltung guter Gesundheit durch eine ordentliche Diät, und insonderheit durch rechtmäßigen Gebrauch der Speisen, und des Geträncks. Berlin, 1682


Germershausen, Christian Friedrich: Der Hausvater in systematischer Ordnung. Bd. I–V. Leipizig, 1783–1786


Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Zweiter Teil: Das Oderland. Berlin, 1863.


Hamilton, August: August Hamilton's Offene Briefe über Branntweinbrennerei an seine Geschäftsfreunde, Königsberg, Bd. 2, 1857.  


Hammer, Ulrike:  Kurfürstin Luise Henriette - Eine Oranierin als Mittlerin zwischen den Niederlanden und Brandenburg-Preußen, Münster u.a., 2001. 


Humm, Antonia / Heilmeyer, Marina / Winkler, Kurt: König & Kartoffel. Friedrich der Große und die preußischen „Tartuffoli“. Potsdam, 2012, 43–46.


Humm, Antonia: Friedrich II. und der Kartoffel-Anbau in Brandenburg-Preußen. In: Göse, Frank (Hg.): Friedrich der Große und die Mark Brandenburg. Herrschaftspraxis in der Provinz. (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 7) Berlin, 2012, 183–215.


Krausch, Heinz-Dieter: Knollen, Nudeln und Tartüffeln - Die Geschichte der Kartoffel in Brandenburg. In: Schön und nützlich ‒ Aus Brandenburgs Kloster-, Schloss- und Küchengärten. Begleitbuch zur Ausstellung, hrsg. vom Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Potsdam, 2004, 121‒126


Nicolai, Friedrich: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, und der umliegenden Gegend. III. Band: Berlin, 3. Auflage, 1786


Podewils, Graf von: Wirthschafts-Erfahrungen in den Gütern Gusow und Platkow. Erster Teil. Berlin, 1801. 


Putsche, Carl Wilhelm Ernst / Bertuch, Friedrich Justin: Versuch einer Monographie der Kartoffeln oder ausführliche Beschreibung der Kartoffeln, nach ihrer Geschichte, Charakteristik, Cultur und Anwendung in Teutschland. Weimar, 1819.


Rothacker, Dietrich: Zur Geschichte und Bedeutung der Kartoffel in Europa –Ein Geschenk der Neuen Welt. Kataloge des Oberösterreichischen Landesmuseums Nr. 61, Linz, 1992; 213-252. 


Schade, Jens-Uwe / Adam, Stefan: Neues aus der Akte Pommes Fritz. Hrsg. vom Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Brandenburg. Potsdam, 3. Auflage, 2013. 


Schlipf, Johann Adam: Der Pflanzenbau nach den Bedürfnissen der neuesten Zeit. Reutlingen, 1847.


Schmook, Reinhard: Das Oderbruch als friderizianische Kulturlandschaft. In: Beck, Friedrich / Schmook, Reinhard: Mythos Oderbruch. Das Oderbruch einst und jetzt. Vorträge und Diskussionen der Kulturwoche in Groß Neuendorf und Bad Freienwalde vom 5. bis 12. Juni 2005, Berlin, 2006, 19–30.


Seidel, Paul: Der Lustgarten am Schlosse in Berlin bis zu seiner Auflösung im Jahre 1715, In: FBPG 3, 1890, 89-124


Thaer, Albrecht: Annalen des Ackerbaues. Elfter Band, Berlin, 1810.


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Walter, Friedrich [und C.F. Willdenow, mit Anmerkungen versehen durch A. v. Chamisso]: Verzeichniss der auf den Friedlaendschen Guetern cultivirten Gewaechse nebst einem Beitrage zur Flora der Mittelmark, 3. Auflage, 1815. 


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Wolff, Emil Theodor von: Die naturgesetzlichen Grundlagen des Ackerbaues : Nebst deren Bedeutung für die Praxis. Leipzig, 1851